Ein Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils auch bei einer erheblichen Störung der elterlichen Kommunikation gerichtlich angeordnet werden, wenn das Wechselmodell bereits seit geraumer Zeit tatsächlich gelebt wird, es dem beachtlichen Willen des Kindes entspricht und nachteilige Auswirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind.
OLG Dresden, Beschluss vom 14.04.2022, 21 UF 304/21
Nach § 1696 Abs. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Umgangsrecht zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist.
Dabei ist die Änderungsschwelle für Erweiterungen des Umgangs niedriger anzusetzen als bei Sorgerechtsentscheidungen und können Anpassungen an veränderte Umstände schon dann geboten sein, wenn dies dem Kindeswohl dient (vgl. Staudinger/Coester [2019], § 1696 Rn. 13). Für das Erreichen der Änderungsschwelle kann ein geänderter Kindeswille, insbesondere wenn die Änderung auch schon tatsächlich praktiziert wird, genügen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2005, 746). Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung des Kindeswohls kommt vorliegend dem geänderten Willen des Kindes - unter Anwendung des Maßstabs des § 1696 Abs. 1 BGB - nach Überzeugung des Senats ein entscheidendes Gewicht zu mit der Folge, dass ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist, welches zudem schon von den Eltern in die Praxis umgesetzt wird.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Frage, ob die Anordnung des Wechselmodells geboten sein kann, unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden (vgl. BGH, FamRZ 2020, 255, 257; FamRZ 2017, 532, 535).
Dabei ist die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Auch bei hochkonfliktbehafteten Eltern kann das Wechselmodell dem Kindeswohl entsprechen, und zwar dann, wenn zu erwarten ist, dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt nicht verstärkt, darüber hinaus die Belastung sogar vermindert (vgl. Wache, Anm. zu OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019 - 7 UF 226/18 -, NZFam 2019, 574; Salzgeber, NZFam 2014, 921, 929). Insoweit sind die Vorgaben des BGH zur gerichtlichen Anordnung eines Wechselmodells nicht wie Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen, sondern es sind die in Betracht kommenden Betreuungsalternativen zu untersuchen und die jeweiligen Vor- und Nachteile für das betroffene Kind und seine Eltern wertend gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 2019, 979, 980 = NZFam 2019, 574; KG, FamRZ 2018, 1324, 1326;
Hammer, FamRZ 2015, 1433, 1442).